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Ein Theaterstück, so magisch wie der Mond

An drei Abenden verzauberte die Theatergruppe der Siegmund-Loewe-Realschule ihr Publikum mit dem magischen Märchen „Luna“. Eine Geschichte, in der es um weitaus mehr geht als um Hexen, Drachen, Zauberer, Sumpfmonster und Lava speiende Vulkane.

„Ja, die Hexe im Wald gibt es wirklich. Es hat sie immer gegeben. Nein, mein Schatz, gesehen habe ich sie noch nie. Niemand hat das. Seit ewigen Zeiten nicht. Wir treffen Vorkehrungen, dass es nicht dazu kommt. Schreckliche Vorkehrungen“ – Das Theaterstück „Luna“ beginnt emotional mit einem im Protektorat alljährlich wiederkehrenden Ereignis: Der Opferung eines Babys! In dem kleinen Städtchen, gelegen zwischen einem riesengroßen Sumpf und einem bösartigen Wald, wird am „Tag des Opfers“ das jüngste Geborene des Jahres weggenommen, um es der Hexe zu opfern. Denn die böse, grausame Hexe, die im gefährlichen Wald lebt – so erzählt man sich im Ort – verlangt jedes Jahr ein Kind, dann würde den Dorfbewohnern nichts geschehen.

Diese vermeintlich schreckliche Hexe versetzt in Kelly Barnhills märchenhaftem Fantasyroman „Das Mädchen, das den Mond trank“ – Vorlage für „Luna“ – eine ehemals glückliche Stadt am Rande des dunklen Waldes in Angst und Schrecken. Alle Fröhlichkeit ist aus dem Leben gewichen, denn jedes Jahr müssen die Bewohner ihr das jüngste Kind opfern. Das Kind wird im Wald ausgesetzt und Xan, die Grausame, holt es sich dort. In Wirklichkeit aber wissen die Ratsherren genau, dass die Geschichte mit der Hexe nur erfunden ist. Der Glaube daran beschert ihnen jedoch ein verängstigtes und damit unterwürfig-fügsames Volk, das sein trübseliges Dasein unter einer Wolke aus Trauer fristet. Was den Ratsherrn nur allzu willkommen ist; sichert es ihnen doch die uneingeschränkte Herrschaft.

Jeder kann heute nahezu problemlos und unkontrolliert „seine Wahrheit“ veröffentlichen und verbreiten. Viele Menschen erreichen diese vermeintlichen Wahrheiten und werden von ihnen weiter und immer weiter verbreitet – bis sie so tief verwurzelt sind, dass echte, beweisbare Fakten keinerlei Chance mehr haben. Was wahr ist und was Lüge, findet der Zuschauer der über eine sehr poetische und kraftvolle Sprache verfügenden Geschichte sehr schnell heraus. Auf den Weg dorthin macht man Bekanntschaft mit klassischen Bösewichten ebenso wie auch mit ein paar ganz wunderbar gezeichneten Nebencharakteren, die man einfach ins Herz schließen muss: liebenswerte, sympathische Figuren wie zum Beispiel der entzückende Drachen Fyrian, der sich für furchteinflößend und wahrhaft gigantisch hält, allerdings nur die Größe einer Taube hat, oder auch Glerk, das mehrarmige, Jahrhunderte alte Sumpfmonster, das Poesie über alles liebt und stets für alles den passenden Reim auf Lager hat. Und da ist die alles andere als bösartige Hexe Xan, die jedes Jahr die im Wald liegengelassenen, schutzlos ausgesetzten Kinder rettet. Jahr für Jahr wundert sie sich über dieses herzlose Verhalten und kann nicht verstehen, warum die Menschen dies tun.

Vor allem aber ist da der mutige und rechtschaffende Antain, der diese furchtbare Grausamkeit, wie man einer Mutter ihr Kind wegnimmt, mit ansehen muss. Obwohl ihn als Angehöriger einer privilegierten Schicht eigentlich eine bessere Zukunft wartet, entschließt er sich, in den Wald zu gehen, um die Hexe zu besiegen und damit für sich und seine kleine Familie eine Zukunft voller Liebe und Hoffnung aufzubauen – gegen alle Widerstände! Die Zuschauer lernen schließlich auch Luna kennen – eines der geraubten Kinder, das von der Hexe statt mit Sternenlicht versehentlich mit Mondlicht gefüttert wird – was Folgen haben wird, denn Mondlicht ist pure Magie. Und die kleine Luna, so wird das Mädchen von der Hexe genannt, wird magifiziert. Und so wächst in dem Mädchen große Macht heran. Verschiedene Handlungsstränge, unterschiedliche Perspektiven und Zeitebenen machen das Ganze komplex. Eingeflochten sind auch immer wieder vereinzelte Episoden kurzer Schauergeschichten, die eine Mutter ihrem Kind erzählt: Über die Hexe, deren Schandtaten und allerlei andere Legenden.

Natürlich geht es um das Gute und das Böse. Es geht um Freundschaft, Trauer und Schmerz, Verzweiflung, Hoffnung und die Kraft der Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, die alle Zeiten überdauert. Aber vor allem geht es um Wahrheit und Lüge, Macht und Gier. Es ist ja so schön einfach, den Aberglauben am Leben zu halten; lassen sich doch Menschen in Angst leicht kontrollieren. Aus dieser Ausgangssituation entwickelt Kelly Barnhill ein brillantes Märchen voller Überraschungen. Zwischen Witz und Poesie, Ernst und Heiterkeit findet die Wahrheit schließlich ihren Weg – so wichtig angesichts der Fake-News unserer Zeit.

Vor allem aber hat die Geschichte in Kronach unter Regie von Thomas Hauptmann wunderbare Darsteller, die in den jeweils rund zweistündigen (!) Inszenierungen selbst jede Menge Magie verbreiten und das Publikum so hinein in eine fabelhafte Welt aus Mondlicht, magischen Geschöpfen, atmosphärischen Schauplätzen und drolligen Dialogen ziehen – und dass, ohne dabei an Ernsthaftigkeit oder Handlung einzubüßen. Donnernder Applaus der zahlreich anwesenden Eltern und Familienangehörigen war hierfür der verdiente Lohn. Ob Antain die Wahrheit herausfindet? Ob Luna ihre Macht für das Gute einsetzt und die Stadt, die sie einst opferte, von ihrem grausamen Schicksal befreit? Das soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Stattdessen lieber die Einladung auch an Erwachsene, mal wieder zum Buch zu greifen und dieses so vielschichtige magische Märchen selbst zu lesen. Eines kann man versprechen: Das furiose Ende lässt keine Frage offen – und kein Auge trocken!